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Zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik

Zur Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik

[von Ute]

Endlich liegt er vor, der Bericht des unabhängigen Sachverständigenausschusses zu den Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik vor. 18 Menschen hatten sich der Aufgabe gestellt, Corona-Schutzmaßnahmen zu bewerten und Reformbedarf aufzuzeigen.

 Sie geben Einblicke in Studien und deren unterschiedliche Ergebnisse. Sie wägen ab zwischen vermuteten, gewünschten und unerwünschten Wirkungen der Maßnahmen. Die Kommissionsmitglieder haben ihre Tätigkeit ehrenamtlich ausgeübt. Bis auf eine administrative Geschäftsstelle gab es keine Ressourcen. Der Gesundheitsminister wurde frühzeitig informiert, dass mit dieser knappen Ausstattung keine umfassende Evaluation möglich ist.

Es gab für den Bericht viel Kritik von allen möglichen Seiten. Dr. Lauterbach meinte, man müsse diesen nun nicht als Bibel behandeln.

Weil ich mir gern ein eigenes Bild mache, habe ich es mir angetan und mir die 149 Seiten zu Gemüte geführt. Hier meine Zusammenfassung.

Vorweg ein Überblick zu meinem Fazit:

  • die meisten Maßnahmen entziehen sich einer Kategorisierung in "richtig" oder "falsch", für keine einzige Maßnahme konnte zweifelsfrei die erwartete Wirkung festgestellt werden
  • die Wirksamkeit der Impfung inkl. der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wurde wegen der Komplexität nicht behandelt
  • eine Kosten-Nutzen-Analyse war mangels begleitender Studien oder Modellierungen nicht möglich
  • die mangelnde Datenlage macht eine umfassende Evaluation unmöglich
  • Datenbestände, die KK erfolglos anboten und das etablierte Sentinel-System wurden nicht genutzt, es wurde während der Pandemie auf Meldedaten gesetzt
  • eine stärkere Digitalisierung einschließlich eines digitalen Impfregisters und einer elektronischen Patientenakte werden empfohlen
  • Potenziale der Risikokommunikation wären ungenutzt geblieben, man müsse zu Desinformationen schnell Stellung nehmen und dürfe kontroverse Meinungen nicht ausklammern
  • für den Bericht wurden allerlei Studien (345 Quellen) ausgewertet; in Anbetracht der Vielzahl der Studien und der Vielzahl gleichzeitig eingesetzter Maßnahmen mit erwünschten und unerwünschten Wirkungen kann keine Blaupause für die Bewältigung pandemischer Lagen gegeben werden
  • im Bericht werden kaum Zahlen ausgewertet, konkret wird es bei der Beschreibung der psychischen Auswirkungen der Schulschließungen

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass eine Differenzierung der Auswirkungen der Pandemie, also der Bedrohung durch das Virus per se, und der Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie, ist nicht eindeutig möglich.   

Und: Ich hatte es schon fast vergessen, aber es wird im Bericht beschrieben: Wie kam es eigentlich zur Pandemie und den Einschränkungen?

Der britische Epidemiologe Neil Ferguson legte im Frühjahr 2020 Ergebnisse eines Computer-Simulationsmodells vor. Er sagte extrem hohe Opferzahlen und tolle Effekte von Lockdowns voraus.  Dieses Simulationsmodell wurde auf Grundlage einer nicht qualitätsgeprüften Publikation vorgelegt. Die WHO bewertete die Wirkungen von Lockdown-Maßnahmen eher zögerlich. Das RKI verwies schon 2001 darauf, dass die Wirksamkeit von Lockdown-Maßnahmen und Quarantäne im Pandemiefall unbekannt sei.

Trotzdem haben die meisten Länder und Deutschland zu diesen Maßnahmen gegriffen.

Was stellt der Bericht fest? (Bitte beachten, dass ich über den Bericht und nicht meine Meinung schreibe!)

Maßnahmen allgemein
Ein Zusammenhang zwischen Inzidenz und der Maßnahmenstärke ist nicht erkennbar. Oft fielen Inzidenzen bereits vor der Einführung von Maßnahmen.

Lockdowns
Die Wirksamkeit eines Lockdowns ist in der frühen Phase am effektivsten, verliert den Effekt schnell.
Lockdowns zeigen unerwünschte Wirkungen, z.B.:

  • Verschlechterung der Grundgesundheit durch verschobene medizinische Behandlungen
  • Rückgänge in der Krebsdiagnostik und der Zahl diagnostizierter Krebsfälle, sie scheinen einherzugehen mit einer zeitverzögerten und teilweise erheblichen Steigerung von Diagnosen in fortgeschrittenen Tumorstadien
  • Kontaktreduktionen - mit den Lockdowns gingen andere virale Erkrankungen zurück, nach Aufhebung nahmen diese wieder zu und übertrafen vorpandemische Peaks; die Zahl der Kleinkinder, die deswegen stationär waren, ist nach dem Ende des Lockdowns stark anstiegen
  • Einbußen an Bildungsqualität und - angeboten insbesondere für sozial Benachteiligte
  • Steigerung der häuslichen Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, Verschiebungen von Geschlechterrollen
  • Zunahme von psychischen Erkrankungen und Verlusterlebnissen durch Tod
  • existentielle Nöte  

Kontaktnachverfolgung
Eine genaue Quantifizierung der Effekte ist aufgrund der defizitären Datengrundlage nicht möglich, erwünschte und unerwünschte Wirkungen können nicht evaluiert werden. Wenn überhaupt, müsste Kontaktverfolgung schneller sein, als das Virus (die Inkubationszeit), und das war sie nicht.

Isolierung und Quarantäne
Bezüglich der Wirksamkeit gibt nur eine "Evidenz von geringer Vertrauenswürdigkeit aus Studien mit mathematischen Modellen… (wobei) das Ausmaß der Reduktion (von SARS-CoV-2 Infektionen) ungewiss ist".

2G/3G-Maßnahmen
Die nachgewiesene Wirkung von Immunitätsnachweisen als Zugangsberechtigung auf die Verbreitung des Virus scheint eher gering. Verpflichtende Impf- und Immunitätsnachweise können aus psychologischen Gründen kontraproduktiv sein. Als Zugangsbedingung wird Testung unabhängig vom Impfstatus empfohlen.  

Schulschließungen
Die genaue Wirksamkeit trotz theoretischer Plausibilität und zahlreicher Studien ist weiterhin offen. Kinder sind durch Schulschließungen besonders betroffen.

Physische und psychische Auswirkungen von Schulschließungen sind jedoch bekannt Es gab einen deutlichen Anstieg von Fettleibigkeit bei Kindern während der Schulschließungen. Aus Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit ist 2020 Anstieg psychischer Erkrankungen mit Krankenhaus für Kinder und Jugendliche 2021 im Vergleich zu 2020 zu entnehmen: 

15- bis 17-Jährige:

  • emotionale Störungen (+42 %)
  • multipler Suchtmittelmissbrauchs (+39 %)
  • depressive Episoden (+28 %) 
  • Essstörungen (+17 %) 

10- bis 14-Jährige:

  • depressive Episoden (+27 %)
  • Angststörungen (+25 Prozent)
  • Essstörungen (+21 Prozent)
  • emotionale Störungen (+11 %)

Grundschulkinder (5-9 Jahre):

  • soziale Funktionen (+36 %)
  • Entwicklungsstörungen (+11%) 
  • Sprach- und Sprechstörungen (+5 %).

Eltern sagen:

  • Kinder sind sehr belastet (75%)
  • Soziale Fähigkeiten der Kinder sind beeinträchtigt (55%)
  • Kinder treffen sich weniger Treffen mit Freunden (55%)

Viertklässler weisen 2021 im Vergleich zu 2016 eine statistisch signifikante und substanziell geringere Lesekompetenz auf

Suizidversuche:

Bei Kindern und Jugendlichen zeigte sich während des ersten Lockdowns in Deutschland zwar eine Abnahme, im Jahr 2021 allerdings eine massive Zunahme von Suizidversuchen.

Masken
Die Wirksamkeit von Masken ist immer noch nicht abschließend geklärt. Es fehlen klinische Studien. Eine Wirksamkeit ist nur in Laborversuchen bestätigt.

  • 70 Prozent der Infektionen erfolgten im privaten Umfeld, da gibt es keine Maskenpflicht
  • Effektivität hängt vom Träger ab und sollte auf Freiwilligkeit setzen, eine schlechtsitzende Maske hat keinen, ggf. sogar einen negativen Effekt
  • eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus bisherigen Daten nicht ableitbar, arbeitsmedizinische Belange wären zu beachten
  • eine Maskenpflicht sollte auf Innenräume und Orte mit höherem Risiko beschränkt bleiben

Masken in Schulen
Es liegen keine Studien vor, die einen Effekt eindeutig belegen oder widerlegen. Eine Normierung für Kindermasken wird empfohlen.
Über eine Studie in Spanien wird berichtet: sechsjährige Kinder zeigten eine höhere Inzidenz als Fünfjährige. Es bestand aber unter Sechsjährigen eine Maskenpflicht, bei Fünfjährigen nicht.

Befürchtungen, dass das Tragen von Gesichtsmasken zu gesundheitlichen Schäden oder Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit durch erhöhte CO2-Rückatmung führt, haben sich nicht bestätigt, sind aber nicht gänzlich auszuschließen.  

Psychosoziale Folgen
Ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet sein, Einsamkeit ist ein Risikofaktor für mit Stress verbundene Symptome und Krankheiten.
Aufmerksamkeit muss auf Kinder und Jugendliche gerichtet werden mit dem Ziel der maximal möglichen Teilhabe und des Schutzes vor häuslicher Gewalt.  

Impfung
Mit Blick auf den Schutz vor schweren Krankheitsverläufen hat sich die Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe überwiegend bestätigt. Mengen an neutralisierenden Antikörpern nehmen innerhalb von Monaten deutlich ab, Gedächtniszellen bleiben wahrscheinlich erhalten.
Wichtig ist, auf eine umfassende Risikokommunikation zu achten, zum Beispiel im Zusammenhang mit unerwünschten Impfwirkungen.  

Impfregister
Die Einführung eines nationalen Impfregisters, eine umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens und die Einführung der elektronischen Patientenakte werden empfohlen.  

Kommunikation der Risiken und Unsicherheiten
Pandemiebekämpfung hat in fast jedem Schritt experimentellen Charakter. Die Menschen konnten sich allerdings kaum ein eigenes Bild über Inhalte von Kontroversen machen. Eine transparente, koordinierte und nicht ausgrenzende Risikokommunikation kann in einer solchen Situation Vertrauen aufbauen sowie Stress und Angst in der Bevölkerung entgegenwirken. 

Kampagnen auf allen verfügbaren Kanälen und in immer neuen Varianten werden empfohlen.

Ein fairer Umgang mit Menschen mit einer eher kritischen oder ablehnenden Haltung zur Impfung trägt viel zur öffentlichen Wahrnehmung des Themas bei. Diese Gruppe sollte nicht pauschal verurteilt oder gar diskriminiert, sondern auf Augenhöhe und mit Respekt behandelt werden, auch wenn ihre Haltung als nicht nachvollziehbar erscheint.  

Rechtliche Aspekte
Normenhierarchie
Das IfSG ermächtigt den Gesundheitsminister, Regelungen zu erlassen, die von einer Vielzahl von Gesetzen abweichen und Ausnahmen von gesetzlichen Vorschriften zulassen. Damit wird gegen die Normenhierarchie des Grundgesetzes, wonach die Exekutive (z.B. der Gesundheitsminister) an Gesetze gebunden ist.

Quarantäne - Absonderung
§ 30 IfSG erlaubt die Absonderung, diese stellt eine Freiheitsentziehung dar. Nach Artikel 104 des Grundgesetzes gilt für freiheitsentziehende Maßnahmen immer ein Richtervorbehalt – diesen sieht das IfSG nicht vor.
Es sollte geprüft werden, ob die Maßnahme der Absonderung nicht durch eine in ihrer Wirkung ähnliche, nicht den Richtervorbehalt auslösende Maßnahme ersetzt wird (z.B. Verkehrsbeschränkung, man darf die Wohnung verlassen, soll aber Veranstaltungen fernbleiben und ÖPNV nicht nutzen) 

Versammlungen
Weil Maßnahmen gegen Versammlungen stets eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit voraussetzen, können mit dem Infektionsschutz begründete Beschränkungen, Verbote und Auflösungen von Versammlungen auf die versammlungsrechtlichen Rechtsgrundlagen gestützt werden, ohne dass es eines Rückgriffs auf das Infektionsschutzrecht bedarf​


Nichts Genaues weiß man nicht – oder – Eine Entschuldigung bei allen, die den Maßnahmen kritisch gegenüber standen und stehen, wäre fällig!


Download:
Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik durch einen Sachverständigenausschuss

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